Mein Wort zum Sonntag – oder über „Eine einfältige Weise zu beten“

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Nein, Jesus wurde nicht mit Reißzwecken ans Kreuz getackert, aber Luthers Genagele ist auch nicht zu 100 Prozent erwiesen. Eins aber hat er gemacht: dem Meister Peter Beskendorf, Barbier von Wittenberg (der sich im 16. Jahrhundert auch „Chirurg“ nennen und als solcher operieren durfte) auf dessen Frage hin das Beten erklärt.

Seinem „lieben Meister Peter“ verspricht Luther in der Einleitung, es ihm „so gut zu geben, als ich´s hab“, und was dann folgt, ist Luthers To-Do-Liste, die er abarbeitet, wenn er „in die Kirche zum Haufen“ (das sind wir) geht, „und hebe an, die zehn Gebote, den Glauben (die drei Artikel) und, je nachdem ich Zeit habe, etliche Sprüche Christi, Pauli oder Psalmen“ herunterzubeten. Und wer für den Gang in die Kirche keine Zeit hat, könne es doch im stillen Kämmerlein tun oder unterwegs auf der Straße oder sogar bei der Arbeit. Denn nur „wer ohne Unterlaß betet, hütet sich vor Sünden und Unrecht“.

Ich glaube ja auch. Ich glaube nämlich Folgendes: Ich glaube, dass wir gar keine so gottlose Gesellschaft sind, als die wir uns gerne hinstellen. Ich sehe gefaltete Hände um Mobiltelefone allerorts auf Straßen und Plätzen, sehe Fußballgötter in Bronze und Modegötter auf dem Shoppingkanal; und mit welcher Inbrunst die letzte Visite eines Politikers beim Papst – immerhin dem Stellvertreter Gottes – von uns allen verfolgt wurde, ist jedem Missionar bis hin nach Papua-Neuguinea ein innerer Kirchentag. Und es war ja wohl unsere (!!) Kanzlerin, die mit der Raute den weltweiten Trend der neuen Handfaltung beim Beten losgetreten hat.

Auf dem Kirchentag in Berlin sitzen Alt-68er aus Oer Erkenschwick beim Bier, obwohl sie eigentlich (nun schon mal in Berlin) vorauseilend Benno Ohnesorg (50. Todestag 2. Juni) gedenken wollten, man an der Deutschen Oper aber nicht so lecker draußen sitzt wie hier in Mitte. Da wippt man auch gerne mit beim muslimischen Poetry-Slammer, der spontan am Ende des Tisches performt.

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(Sami el-Ali und Dennis Kirschbaum von I-Slam, Poetry zum Kirchentag in der Kreuzberger St.Thomas Kirche; Quelle ndr.de)

Selbst das Halten eines Bierglases hat hierzulande eine spirituelle, wenn nicht gar religiöse Dimension erreicht, der sich nur Wenige entziehen können. Und bringen wir Genossen der SPD einen neuen Kandidaten aufs Podium, dann wird der auch außerhalb der Partei zum Retter – und damit Heiland – erkoren, eine Ehre, die bei den Christlichen Parteien seltsamerweise  noch keinem zuteil wurde. Versucht William Paul Young in seinem Überraschungsknaller „Die Hütte“ (gerade erfolgreicher als erwartet im Kino) einfach nur, Gott ein Gesicht zu geben, dann kapieren wir auch das sehr schnell, und schon sieht der alte Junge da oben aus wie Mark Zuckerberg.

Aber eigentlich halte ich es mit Pfarrer Führer, denn der hatte m.E. die beste Theorie:

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(Pfarrer Christian Führer (1943-2014) vor »seiner« Nikolaikirche im Jahr 2008 © Jan Adler)

Wer seine Hände zum Gebet faltet, hat schon mal keine frei für eine Ohrfeige (und das ergo kennen wir auch: Hat ein anderer genau diese frei und knallt dir eine, dann halt ihm auch noch die andere Wange hin.) Gewaltlosigkeit von Atheisten im völlig unbewussten Gebet zeigte uns der 9. Oktober 1989 in Leipzig. Da waren 70.000 Leute viel zu sehr damit beschäftigt, mit einer Hand die Kerze zu halten und ebenjene mit der anderen vor dem Herbstwind der Friedlichen Revolution zu schützen.

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(Leipzig, 9.10.1989 © Waltraud Grubitzsch, P-A/ZB)

Es war schlichtweg keine Hand mehr frei, um einem Vopo im Anschlag einen Pflasterstein an den Kopp zu knallen. (Tomaten waren wegen der damaligen Versorgungslage eh ein No Go.) Leider verbieten die Sicherheits- und Brandschutzverordnungen brennende Kerzen in Fußballstadien, doch warte ich auf den Tag, da sich Hooligans mit kunstvoll dekorierten Altarkerzen vor selbigen drängeln und um friedlichen Einlass bitten, um endlich voller Stolz im Kameraschwenk ihr Meisterwerk ins Öffentlich Rechtliche halten zu können.

Ich lege mir meinen Luther ja gerne so aus, wie es mir pragmatischen, atheistischen Protestantin liegt: frei und passend. Und weil das momentan mit jeder Religion so gehandhabt wird, habe ich noch nicht mal schlechtes Gewissen dabei, sondern ein unendlich gutes Gefühl bei meinem ganz persönlichen Wort zum Sonntag und zu diesem Kirchentag: Wie oft und gut wir alle beten, ist uns gar nicht bewusst. Drum lasst es uns so weiter tun, denn wer die Hände nicht frei hat, der kann auch keinen Unfug damit treiben.

Darauf ein Amen und einen Gin.

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Euer

Spirit of Kasimir

***

Lesenswertes dazu aus der phm’schen Bibliothek:

  • Martin Luther „Eine einfältige Weise zu beten“ Evangelische Verlagsanstalt GmbH. Berlin 1962
  • Christian Führer mit Patricia Holland Moritz „Und wir sind dabei gewesen – Die Revolution, die aus der Kirche kam“. Ullstein Buchverlage GmbH. Berlin 2009
  • William Paul Young „Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott“. Allegria 2009

 

 

7 Kommentare zu “Mein Wort zum Sonntag – oder über „Eine einfältige Weise zu beten“

  1. Dr. Robert M. Zoske sagt:

    Liebe Patricia, vielen Dank für Dein Wort zur Woche – Ich finde, Du solltest es in einem Gottesdienst am Sonntag Rogate als Predigt halten – so gut ist es. „Atheistische Protestantin“ ist prima, noch besser finde ich allerdings Luis Buñuels Satz: „Ich bin Atheist von Gottes Gnaden.“ Herzlich aus dem heissen Hamburg – Robert P.S.: Das Lektorat mit Herrn Nolte läuft super. P.P.S.: Dass Du die Bruchbude noch empfiehlst, bereitet mir aber doch heftige Magenschmerzen. Anbei mein Beitrag in den Ev. Stimmen von Mai 2017.

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  2. Dr. Robert M. Zoske sagt:

    Liebe Patricia,vielen Dank für Dein Wort zur Woche – Ich finde, Du solltest es in einem Gottesdienst am Sonntag Rogate als Predigt halten – so gut ist es.„Atheistische Protestantin“ ist prima, noch besser finde ich allerdings Luis Buñuels Satz: „Ich bin Atheist von Gottes Gnaden.“Herzlich aus dem heissen Hamburg -RobertP.S.: Das Lektorat mit Herrn Nolte läuft super.P.P.S.: Dass Du die Bruchbude noch empfiehlst, bereitet mir aber doch heftige Magenschmerzen. Anbei mein Beitrag in den Ev. Stimmen von Mai 2017. 

    • Lieber Robert,
      mein warmer Dank in den heißen Norden für Deine Zeilen – und ich gebe hier ganz öffentlich zu, dass ich atheistische Protestantin die „Rogate“ googeln musste, nun dank Dir aber gleich etwas mehr im Stoff bin…. „Die Hütte“ – die Du mit der Bruchbude meinst? – empfehle ich aus ganz persönlichen Gründen: Bevor das Buch auch in Deutschland veröffentlicht wurde, hatte es bereits in den USA für eine Kontroverse gesorgt. Außerdem ist seine Geschichte überwältigend, da der Erfolg des Buches buchstäblich im Copyshop begann, und WPYoung und seine Familie damals finanziell völlig abgebrannt waren. Ich lernte den Autor kennen, war mit ihm auf Lesereise und ja, wir haben damals ein Treffen mit ihm und Pfarrer Führer hinbekommen; den Anblick, wie beide gemessenen Schrittes durch die Nikolaikirche gehen und dann beieinander hocken und beten – jeder in seiner Sprache, keiner der Sprache des anderen mächtig – ja, das hatte was. Zudem habe ich WPYoung als sehr authentischen, warmen Menschen kennen gelernt, sein Buch hat für mich vielleicht deshalb eine andere (und sicher subjektiv erlebte) Dimension. – Nun schau ich, dass ich den Anhang Deiner Mail herunterladen kann…. Sonst melde ich mich noch einmal per Email bei Dir. Sehr herzlich! Patricia

  3. Schmidt sagt:

    genial wie immer, liebste patricia… für mich immer wieder ein genuss, deine wortschöpferischen hochseilkunststücke zu bewundern, und mir trotz meines depressiven autorenumfelds zu sagen, dass es doch noch autoren gibt, die fühlen, denken + schreiben vereinen können… bise de paris…

  4. Gudrun Jänisch sagt:

    Liebe Patricia, genial dein Wort zum Sonntag, ich stimme dir voll und ganz zu.Haltet die Hände gefaltet, dann könnt ihr nicht schlagen, einen Säbel ziehen oder ein Bombe werfen.Ich bin auch eine Atheistin, aber ich verehre die Natur und bin ehrfürchtig und voller Demut beim Betrachten dieser großartigen Vielfalt und Genialität…
    Ganz liebe Grüße
    gu

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