oder

Don’t judge this book by its cover

Kurt Halbritter „Adolf Hitlers Mein Kampf“ im Verlag Bärmeier & Nikel, Berlin, Oktober 2023

Im Land der Protestwähler und Mandarfnixmehrlautaufderstraßesagen-Demonstranten leben wir – die Mutigen! Wir stürmen den Reichstag? Allez-hopp: Wir stürmen den Reichstag. Mehr als Bewährung wird’s nicht geben. Ein Hitlergrüßchen hier, eine Kippa vom Kopp gehauen da, allet schick, das wird ein Spaß und innerer Reichsparteitag. Easy Peasy, und was machen wir am Nachmittag? Da hacken wir uns drei Finger ab, wie kürzlich ein kleiner Brauner in Sachsen bei einem fingierten (haha!) Überfall, den er den Linken anlasten wollte, oder Syrern oder Irakern, hach, irgendwem, der mit Macheten umzugehen weiß. Und folgerichtig waren es die Finger der rrrrrechten Hand, nur dass der Rrrrrechte auch noch Rrrrrechtshänder war. Ups.

Ein bisschen Pegida hier, ein paar Freie Bürger da, und jedes Mal große Freude und knallende Kronkorken, wenn’s wieder irgendwo brennt. Der Postillon verkündete kürzlich, ein Fremdenhasser habe sein eigenes Haus in Brand gesetzt, weil er sich da mittlerweile so fremd fühlte. Ich wollte es so gerne glauben.

Jahrzehntelanges Biedenkopf-Imperium des Königs Kurt in Sachsen, der als Kaiser in seinen neuen Kleidern deklamierte: Nazis hier? Bei uns in Sachsen? Iiihwo! Nur kleine Nachbeben der DDR, denn „die Sachsen sind immun  gegenüber Rechtsradikalismus“, wozu die Nazis nickten und klatschten und Rrrrichtig! sagten, wir machen hier nur Spaß mit ein bisschen Verkleidung und wollen doch nur spielen. Mit dem Feuer nämlich. Und nun haben wir den Flächenbrand, aber wehe, WEHE (!) ein Verlag WAGT es, unseren Hitler zu persiflieren!

Wem ist da WEHE?

Den Rechten?

Den Linken?

Den Mittigen ist WEHE.

Denen, die aus der Mitte heraus fragen, ob wir – Bärmeier & Nikel – nicht ANGST haben, das Buch SO zu veröffentlichen.

Angst wovor?

Vor wem?

Die Antwort sind Schulterzucken und Gestammel, dass SO eben meint: mit diesem Cover. Mit DIESEM Cover heißt: Das sieht ja aus wie das Original. Und damit haben sie recht: Es IST das Original. Das von Kurt Halbritter nämlich, das 1968 im Verlag Bärmeier & Nikel veröffentlicht wurde.


Im Land der Protestwähler und Mandarfnixmehrlautaufderstraßesagen-Demonstranten traut sich in Wahrheit niemand mehr was. Hier eilt er nicht, sondern hier galoppiert er voraus, der Gehorsam. Wir hören allerorten: Dieses Buch kann ich nicht in meinen Laden legen! Damit kann ich mich doch nicht in die S-Bahn setzen! Was sollen denn die Leute denken?

Die Leute, das sind Sie, liebe geneigte Lesers. Sie, die sich doch angeblich so ungern bevormunden lassen in Ihrer Haltung zu Hamas, Israel, Tierwohl, Fertiggerichten, Gendern, AfD, Geschlechtsidentität, Ampelkoalition, Russland und Ukraine. Ihnen wird die Hitler-Persiflage am besten gar nicht erst angeboten, da sie zu sehr nach Hitler aussieht. Ja mei, hätte Chaplin den großen Diktator als Popeye spielen sollen oder Oliver Masucci den Adolf im Holzfällerhemd wieder auferstehen lassen?

Als sich Kriegsheimkehrer Halbritter aufs Zeichnen verlegte, spießte er die Spießer:innen auf (hier wird mal ordentlich gegendert, denn die untertänigen Frauen der damaligen bundesrepublikanischen Spießer sind explizit mitgemeint), erschuf zahllose Facetten eines Diederich Heßling und ahnte all die Alfred Tetzlaffs voraus. In seinem mit Abstand präzisesten Werk zur Spezies des Spießers nahm er sich Adolf Hitlers „Mein Kampf“ vor – und zeichnete beide in Grund und Boden. Hier sieht man den Spießer wirken, diesen laut Brockhaus-Definition „engstirnigen Menschen, der sich an überlebten Anschauungen und moralischen Grundsätzen orientiert, Neuerungen und Fortschritte ablehnt und seinen sozialen Status verteidigt“. Und wie es der Spießer war, der die Nazis groß machte im Land.

Kurt Halbritters Spießer hebt sich seine Meinung für zu Hause auf. Tritt der NSDAP bei, um nicht gegen den Strom zu schwimmen. Hält’s Maul, wenn der Führer spricht. Klopft für die Gestapo auch  mal beim Nachbarn an die Tür. Verpetzt den Kollegen, der gerne mal den Hitler imitiert. Spürt Erektion beim Blick auf die Autobahnen. Gönnt seinen Kindern Kraft durch Freude. Lehrt den Sohn das Leben mit der Waffe in der Hand. Freut sich am Abtransport: erst des Klaviers, dann der Jüdin, die es gespielt hat, denn so hört das neumodische Geklimper auf. Freut sich zudem am reinrassigen Stammbaum. Teilt dem jüdischen Pärchen am Kaffeehaustischlein mit, dass sie hier nicht mehr bedient werden. Liebt artige Kunst, in der er was erkennt. Hält die Endlösung für übertrieben. Sehnt sich aber einen Weltkrieg mit Millionen Toten später zurück nach der Ordnung, die unter dem Führer herrschte. Nein, dieses Buch gehört nicht versteckt.

Es gehört in die Regale, auf die Tische, neben die Kassen, in jeden Supermarkt, in die Schulen. Es gehört in Bibliotheken und ebenda vorgelesen, denn ja, auch Bilder lassen sich lesen.

Online trägt das Buch einen rosa Sticker „Achtung! Satire!“, um netzfähig zu sein in der Diaspora des Humors, in der zwar jeder Loriot zitiert, aber bei angewandter Satire in Schnappatmung verfällt. Für die geneigte Buchhändlerin haben wir es in eine Bauchbinde gepresst, es salonfähig gemacht für jene, die ANGST davor haben und nun hoffentlich den zweiten Blick wagen, bei dem sich erschließt, dass jene, die das Buch angeht, sich ekeln werden, wenn sie darin blättern – weil sie sich wiedersehen werden … in einem Spiegel, der sich durch das Make-up des latenten Selbstbetrugs (‚Es war doch gar nicht so schlimm!‘) nicht bestechen lässt.[1]


[1] Rezension DIE ZEIT, 29.11.1968 zum Erscheinen der Originalausgabe

Was wirklich Angst machen sollte an diesem Buch, ist seine bestechende Aktualität. Doch von der reden die Ängstlichen nicht.

Nie wieder! ist jetzt. Dann habt doch JETZT auch etwas Mut.

Euer

Frollein Bärmeier

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