Eigentlich hat Facebook – will man doch mal positiv an diese Onlinesekte herangehen, der sich auch der Spirit Of Kasimir längst nicht mehr entziehen kann – die Eigenschaften eines Schalters, der, einmal umgelegt, richtig was auslösen kann: Revolutionen zum Beispiel, Empörungen, Shit-Stürme, Bestsellerrankings, Heavy-Rotations und manch andere Art von Gefühlen, die alle Beteiligten bündeln, mitziehen und zu einer selbst gewählten Familie zusammenschweißen. Rutsche ich nach einem langen Arbeitstag abends in der S-Bahn meinem Sitznachbarn auf die Schulter, muss ich mich nicht schämen, denn im Zweifelsfall sind wir eh befreundet. Meine mittlerweile 2.739 Freunde, 195 Abonnenten, 421 Likes=Gefällt Mirs auf meiner Seite würden jede Tageszeitung zum Höhenflug animieren, man würde umgehend hunderte neuer Stellen schaffen, zuvor in ein größeres Gebäude umziehen – das beste am Platz – und an die Börse gehen.
Der letzte virtuelle Facebook-Flashmob richtete sich gegen den WINTER: verschneite Terrassen mit Campingmöbeln wurden gepostet, neue Parteien und Religionen zur Ausrottung der gemeinen Schneeflocke gegründet, und kürzlich bekam ich Post von einer Berliner Barbecue-Firma, die aus Langeweile nun schon erfolglose Autoren anschreibt.
Mit dem Winter als User geriert sich Facebook gerade zur Klimakatastrophe: Je länger er dort promotet wird, umso erfolgreicher hält er sich, denn es gibt hier leider keinen DONT´T LIKE-Button!
Der Vorteil eines virtuellen Sturms im Wasserglas zeigt sich in der brutalen Realität: Ich saß in der S-Bahn, packte mein Buch und eine Kindermilchschnitte aus und wollte gerade mit dem süßen Lesen beginnen, als der Mann mir gegenüber aufsprang und – um Atemluft ringend – wild mit den Armen in der Luft herumfuchtelte. Das hätte mich im Normalfall nur marginal tangiert, reichlich Chaoten fahren täglich S-Bahn. Doch das hier war Ernstfall. Er zeigte immer wieder auf mich und das Buch in meiner Hand. Ich verstand immer nur „Erna!“. Erinnerte ich ihn an seine verstorbene Gattin oder lebende Mutter? Oder tat es etwa das Buchcover? Ich drehte das Buch um und betrachtete es genauer.
Das brachte ihn nun erst richtig zum Kochen. „Erna“ entpuppte sich als „Hömma! Du spinnst wo? DER LETZTE WINTER? Verboten müsste so was werden! Sausäcke! Alle hier! Wollt mich wohl feddichmach´n?“
War ich eben noch umgeben von Leuten, die Bücher lasen wie „Ein Garten im Winter“, „Eistod“, und „Engel aus Eis“….
…hatten nun plötzlich alle ihre Lektüre weggepackt und starrten wie auf ein Kommando unbeteiligt aus dem Fenster, wo sich gerade ein Fahrkartenkontrolleur die Nase putzte.
Den Typen neben mir, der das Ganze nicht mitbekam, weil er von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ ausgerechnet den „Winter“ lautstark in Nigel-Kennedys-Punk-Violin-Version hörte, schnappte er sich am Kragen seiner Jack-Wolfskin-Himalaya-Kluft und zerrte ihn am Nöldnerplatz aus dem Zug. Beide stolperten über das Räumgerät vom BVG-Standpersonal und fielen bäuchlings direkt hinein in eine säuberlich aufgetürmte Schneewehe. Der Vivaldi-Fan blieb gleich liegen und stellte sich tot, während sein Peiniger im letzten Moment auf einen Bus aufsprang, der ausgerechnet in Richtung „Winterfeldplatz“ fuhr. Der Fahrer tat mir schon jetzt leid.
Ich wandte mich wieder meinem Buch zu, und auch der Lesekreis um mich herum war wieder geschlossen. Berlin ist festgefroren dieser Tage, und damit sind nicht nur die Bauarbeiten am BER gemeint, die nun auch unter Mehdorns Aufsicht weitergefrieren. Man hockt beieinander in der S-Bahn, und jetzt haben die es gut, die weiter draußen wohnen, die dürfen nämlich länger im Warmen sitzen. Im Ullsteingarten blüht zum Frühlingsanfang eine Tänzerin…
…und in Paris wird zur selben Zeit vor der Kirche St. Sulpice getanzt, getanzt, getanzt…
(Paris, jeden Sonntagmorgen, Rue Mouffetard, hier im Februar)
Ossis wissen, wie sich das anfühlt, aber nun bekommt ihn auch der Wessi mal zu spüren, diesen Unmut, zu weit im Osten geboren zu sein, statt dass man es mal richtig schön, im aktuellen Fall mal richtig warm und hell hätte.
Stéphane Hessels Ruf „Empört Euch!“ ist alles andere als verhallt…
(an Stéphane Hessels Todestag „gepostet“ in Paris, Montmartre)
… und wird nun weitergetragen von den blassgesichtigen Millionen, die sich wahnsinnig aufregen können über das Wetter, an dem mal wieder niemand schrauben und für das tatsächlich keiner verantwortlich gemacht werden kann.
Vielleicht hätte man im Berliner Naturkundemuseum neben Eisbär Knut nicht auch gleich noch den Wetterfrosch ausstopfen dürfen, zumindest nicht mitten im Winter. Ebenfalls einbalsamiert werden sollte in Venezuela Hugo Chavez. Die dortige Bürokratie scheint jedoch der deutschen nicht unähnlich zu sein, und so geschah es, dass die Leiche noch während des Genehmigungsprozesses im Kühlschrank verdarb. Was dann an Flüssigkeiten hervortrat und die nicht getroffene Entscheidung vollends über-flüssig (!) werden ließ, war, was seine Anhänger nun sentimental den „Ausfluss der Liebe“ nennen. Und zusammen mit seinem Ausfluss wird er nun ganz profan beerdigt. Beim Thema Einbalsamieren fällt mir ein, dass ich erstens dringend Faltencreme kaufen muss und zweitens Walter Ulbricht auf der Leipziger Buchmesse gesehen habe…
…wobei es eher aussah wie ein Faltbeutel, der mit Walter Ulbricht spazieren geht.
Zappe ich nicht durch meine Freunde bei Facebook, dann zappe ich durch die Kanäle, und dort stieß ich auf einen Bericht über eine offline-Demo von Müttern, die vor einem Pferdestall in Trillerpfeifen bliesen. Alles an Pferden, was hierzulande noch nicht in der Rindfleischlasagne gelandet ist, spritzt man ja mittlerweile mit genmanipuliertem Impfstoff gesund, damit die Lasagne beim nächsten Mal noch etwas würziger schmeckt.
Die demonstrierenden Mütter ohne Facebook-Anschluss beunruhigte, dass die Pferde ihre Äpfel herumliegen ließen, sodann die Ratten, Fliegen – und alles, was sonst noch Pferdeäpfel isst – das Zeug in der Umwelt verteilten, so auch in der Luft, und der Mütter Kinder die genmanipulierte Luft einatmeten. Von gen- zu gender-manipuliertem Atemstoff kam ich in der Werbepause auf dem nächsten Kanal. Dort war ein Journalist freiwillig für eine Woche bei einer Marzahner Hartz-IV-Familie eingezogen und hatte im Kinderzimmer auf einer Matratze voller Katzenpisse genächtigt, um mal volle Kanne Unterschichtluft zu schnuppern. Da zeigt sich mal wieder, wie weit die Schere schon beim Anspruch an Atemluft auseinander geht. Ich stelle keinen Anspruch an Luft, mir ist sie momentan nur zu kalt.
Trösten sollte uns wohl ein Bericht, nach dem in Moskau alles viel schlimmer sei, 70 cm Neuschnee über Nacht. Aber wir alle wissen, dass es die Russen gerne etwas größer, bombastischer und pompöser mögen, sonst hätten sie doch nie Gerard Depardieu adoptiert, und dass somit auch dieser Trost wie ein Witz im Schneefräser krepiert.
Ich kann Ihnen und Euch nur Merry Ostern wünschen, und fassen Sie niemandem an die Hühnchenbrust oder an das Osterei, die FDP hat uns gelehrt, wie so etwas ausgehen kann.
Bis demnächst hoffentlich aus dem Sommerloch,
Euer
Spirit Of Kasimir