BERLIN – Affenlandeplatz. Willkommen in der Service-Oase

Einmal im Jahr gönne ich ihn mir, den Berliner Alexanderplatz.

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SATURN

Ich halte dem Verkäufer meine schweineteure Urlaubskamera unter die Nase und drücke ihm das dazugehörige Zoom-Objektiv in die Hand.

PHM:

*Guten Tag, junger Mann. Das Objektiv ist total verkantet. Geht nicht auf. Lässt sich also auch nicht auf die Kamera aufsetzen. Am Freitag fliege ich in den Urlaub. Dafür hab ich mir die Kamera gekauft.*

Junger Saturn:

*Das Objektiv ist ja total verkantet. Geht nicht auf. Lässt sich so bestimmt nicht auf die Kamera aufsetzen. Am Freitag fliegen Sie in den Urlaub. Dafür haben Sie sich die Kamera gekauft?*

PHM:

*Gut wiedergegeben.*

Junger Saturn:

*Dann zeigen Sie mir mal den Garantieschein.*

PHM:

*Hier.*

Junger Saturn (geht vor Ehrfurcht beinah in die Knie):

*Sie haben ja sogar die PLUSGarantie plus Schutz gewählt! Da kann ja überhaupt nichts mehr schief gehen, da sind Sie ja total abgesichert!*

Klingt bei ihm irgendwie nach Absturzversicherung Airbus und Entschuldigungsdinner mit dem Nikon-Chef persönlich.

Junger Saturn (müht sich mit puterrotem Kopf und zwei weiteren Kollegen ab, den Deckel vom Objektiv runterzuschwurbeln, umsonst):

*Dann gehen Sie mal nach vorne in die Serviceecke, vielleicht hat der Kollege ein spezielles Werkzeug dafür, sonst halt Ersatzgerät.*

Trotz PLUSGarantie plus Schutz werde ich nicht in der Sänfte dahin getragen, ankomme in der Serviceecke, die einer Oase gleicht, nur dass die Palmen fehlen. Hinter mir stellen sich im Minutentakt griesgrämige Kunden an, offenbar mit MINUSGarantie minus Schutz.

Nach einem gefühlten halben Urlaubstag und der Durchsage *Einkollegebitteschönindieserviceckeplatzdreiviervierzwei* erscheint ein mittelalter Saturn, dem noch die Urankrümel im Mundwinkel hängen.

PHM:

*Guten Tag, junger Mann. Das Objektiv ist total verkantet. Geht nicht auf. Lässt sich also auch nicht auf die Kamera aufsetzen. Am Freitag fliege ich in den Urlaub. Dafür hab ich mir die Kamera gekauft.*

Mittelalter Saturn:

*Das Objektiv ist ja total verkantet. Geht nicht auf. Lässt sich so bestimmt nicht auf die Kamera aufsetzen. Am Freitag fliegen Sie in den Urlaub. Dafür haben Sie sich die Kamera gekauft?*

PHM:

*Yep.*

Mittelalter Saturn (müht sich mit puterrotem Kopf ab, den Deckel vom Objektiv runterzuschwurbeln, umsonst):

*Was haben Sie denn da gemacht?*

(Kennen Sie sie – die automatische Schubumkehr der Schuldfrage? Sie sind plötzlich Bittsteller, für etwas, das sie teuer bezahlt und unter Garantieschutz erworben haben? Ich nenne es das *Saturnprinzip*.)

Mittelalter Saturn:

*Muss ich einschicken.*

Vergessen zu erwähnen hat er das Stichwort *Ersatzgerät*. Also springe ich hilfreich bei.

PHM:

*Ersatzgerät?*

Mittelalter Saturn:

*Sowas…* (missbilligender Blick auf eine im Februar gekaufte NIKON Spiegelreflex D3100 als wäre es eine Beirette SL100 von vor gefühlten hundert Jahren) *…ham wer nicht zum Ausleihen.*

PHM:

*Das würde ich mir gern vom geschäftsführenden Saturn persönlich erklären lassen. Grüßen Sie ihn bitte von der frischgekürten Miss PLUSGarantie plus Schutz.*

Mittelalter Saturn:

*Ick kiek mal nach.*

Nach wem oder was er guckt erübrigt sich, denn er kommt nicht mit dem Chefsaturn, sondern einem Objektiv in der Hand wieder. Sigma – ich glaube, zuletzt hatte das Robert Capa in der Hand.

610_capa_intro © 2001 by Cornell Capa

Ich drück meine Gänsehaut schnell weg. Pampige Aufnahme meiner Personalien, ich solle bloß alles im guten Zustand wieder mitbringen!!!, und den schönen Urlaub wünsche ich mir selber.

Jetzt erstmal Currywurst zur Belohnung in der Alex-Oase. Hier schon mehr los und auch Palmen. Mehr los leider nur an einer der beiden Fressluken. Stelle mich natürlich nur dort an, wo keiner steht.

*Eine Currywurst mit Brötchen bitte.*

*CurrywurstnurdadrübenwoCurrywurstdrannesteht* sagt die Currywurstverkäuferin irgendwohin ins Leere, während vor ihr eine Currywurstladung verbrennt, die ein ganzes Dorf in Mali ernährt hätte.

Ich stelle mich brav an die Schlange, die bis knapp zur Friedrichstraße reicht.

Nach einem weiteren halben Urlaubstag bin ich dran. Leider kommt dann grad die nächste Currywurstlieferung, sodass meine aufgeschnippelt und in Ketchup ertränkt auf ihrer Pappe vor sich hinkühlt. Nachdem die nächste Lieferung des Technischen Hilfswerks für das Dorf in Mali verstaut ist, reicht man mir die Pappe über den Tresen. Letzte Chance für meinen alten Alex: Ein Radler in der Cocktailbar nebenan.

Eine halbe Stunde lang schaffen es vierzehn Kellner, mich zu ignorieren.

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Dafür schüttet eine besonders lethargische Oasenarbeiterin der hessischen Touristenfamilie eine Eisschokolade vom Tablett in die gefüllte Primark-Tüte. Was nicht die Tüte trifft, landet auf Papas Safari-Tribalstyle-Cargo-Hose. Statt einer Entschuldigung kommt von Miss Lethargie nur: *Klo iss da drüben!*

Mädchen heult, Papa sprachlos, Mama zetert, alle auf zum Klo. Als sie wiederkommen noch immer Eisschokolade dekorativ über die Bierbank drapiert, mit Glasscherben dekoriert.

Ich treffe die gleiche Entscheidung wie die Hesse *Des reischt. Mir gehe.*

Hier ist Berlin wirklich arm, aber eben so gar nicht sexy.

Euer urlaubender Spirit Of Kasimir

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

8 Kommentare zu “BERLIN – Affenlandeplatz. Willkommen in der Service-Oase

  1. Annette Charpentier sagt:

    Super, Patricia, wie immer. Für uns Emigranten (oder bin ich ein Migrant??) besonders amüsant. Kann ich dich im Oktober am Messestand besuchen? Gruß, Annette

  2. Liebe Migranten-Annette – Dank für Deinen Zuspruch! Und Messe – sehr gerne. Bin Donnerstag und Freitag da, ab Montag 1.9. wieder im Verlag, dann machen wir eine Zeit aus 😉 Grüßchen 🙂

  3. Stephan sagt:

    Da werde ich mich mal demnächst hinsetzten müssen und meinen seit 6 Monate währenden Spaß mit der Vodafone aufschreiben. Hoffe nur es wird kein Roman draus 😉
    Aber deine Alex Geschichte trifft schon Berlin mitten inne Fresse!!! Übrigens kommen die meisten Servicekräfte aus dem Schwabenländle weil sie da rausgeschmissen wurden, glaub ich.

    • Lieber Stephan, schreibs auf! Schreibs auf! Vielleicht bewegt ja eines Tages der literarische Shitstorm von Typen wie uns die ersehnte Veränderung und – nein, die Servicekräfte klangen leider allesamt Berlinerisch. Und dafür, dass sie bei ihren Magerlöhnen wahrscheinlich von Trinkgeldern leben müssen, haben die iregndwie die falsche Strategie 😉

  4. Wollentarski, Norbert sagt:

    Liebe Patricia,

    das nächste Mal fährst Du bitte in den Westteil (Saturn im Boulevard Berlin in Steglitz, Currywurst 36 am Bahnhof Zoo – sehr lecker und preiswert), vielleicht ist da der Service besser.
    Du hast aber wahrscheinlich sehr übertrieben, oder ist es wirklich so schrecklich gewesen?
    Viele Grüße
    Wolli

  5. Michael sagt:

    Saturn am Alex – da sollte man wirklich mal ein Buch drüber schreiben mit dem Titel WIR HABEN ALLES NUR NICHT WENN SIE ES BRAUCHEN. Hab im Febr da einen Kabel Deutschland WLan Anschluss bestellt. Den Router konnten wir gleich mitnehmen. Der Kabelanschluss im Haus muss aber noch immer gelegt werden. Inzwischen waren wir ca. 20 mal bei unserem netten Saturnmann, der jedesmal sofort bei Kabel Deutschland anruft, da aber erfährt dass dieses Kabel leider von einem externen Dienstleister verlegt wird und da kann man nix machen, die sind halt furchtbar unzuverlässig – wechseln auch ständig ihre Telefonnummern. Aber der Saturn war so nett, das wir ihn schon zum Essen einladen wollten. Aber die Kabel Deutschland Sonderpromotion ist leider ausgelaufen und dann war auch der Saturnmann weg. Immerhin buchen sie uns jetzt die Gebühr für den nicht anschliessbaren Router regelmässig ab. Wunderbare Welt der Telefonie.

    • O Gott, Michael, wenn es nicht so schaurig wäre, könnte ich herzhaft lachen! Und als Buchtitel fällt mir eigentlich nur „Das Leben und Leiden im rückläufigen Saturn“ ein, ein spirituelles Buch wäre es auf jeden Fall…

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