Die werte Gesellschaft

Der Wert [veːɐ̯t], die Werte [ˈveːɐ̯tə] –

bei manchen Worten lohnt es sich heutzutage, mal wieder mit der Lautschrift trommelnd um den Weihnachtsbaum zu rennen: Den „Wert“ nehmen wir zwar öfter in den Mund als die eigene Zahnbürste, allerdings mit der Sensation eines ausgeleierten Kaugummis. Kein Marketing wird mit einer solchen Inbrunst und zugleich kriminellen Energie betrieben, wie das Werte-Marketing. Das beginnt schon bei der Unentschlossenheit deutscher Sprachschöpfer, was die eigentliche Aussage dieses Wortes betrifft. Ein Wort dieser Wucht hat es wahrlich nicht verdient, neben der moralischen auch eine ökonomische Kategorie ausdrücken zu müssen. (Hinzu kommen noch die physikalische und die mathematische, aber die seien mal geduldet, hatten´s ja in der Schule schon schwer genug.) Wenigstens die Briten unterscheiden zwischen value und worth, doch mit solch poetischen Details hält sich der Deutsche nicht lang auf, immer alles präzise und knapp und nochmal bestens erklärt in Deutschland zum Wegrennen = Deutschland to go von Mathias Richling (druckfrisch bei Ullstein).

Unsere schönen großen Werte verkommen zu einer Truppe Schwarzarbeiter, die man gebraucht, wenn man sie braucht, schlecht bis gar nicht entlohnt und dann am besten wieder sich selbst überlässt.

  • So kann sich Deutschland zum Beispiel in Sachen Ehrlichkeit nicht durchringen, das Anti-Korruptions-Gesetz der UNO zu unterzeichnen, was ganz einfach die Bestechung von Amtsträgern verbietet. (Mich wundert, dass die jemals erlaubt war.) Unter „Amtsträgern“ versteht die UNO im Übrigen nicht nur Beamte, sondern eben auch Abgeordnete. Und die wiederum gelten hier nicht als Amtsträger. Ja, was tragen sie denn dann? Den wunderbaren Wert der Verantwortung etwa? Soweit so gut so deutsch so wertfrei. CDU und FDP zerrten sogleich den Wert der Freiheit vor die Kamera und damit die Freiheit, sich bestechen zu lassen.
  • Absolut wertfrei musste der Dolmetscher handeln, der Radovan Karadzic simultan übersetzte, als dieser vor Gericht in Den Haag folgende Selbstauskunft von sich gab: „Ich bin ein milder und toleranter Mensch, mit einer großen Fähigkeit, andere zu verstehen.“ Das waren gleich drei Werte in einem Satz, und die 8000 toten Muslime in Srebrenica hatten sich dann wahrscheinlich einfach falsch ausgedrückt. – Susanne Kilian, jahrelang international als Dolmetscherin unterwegs, hängte wegen solcher Leute ihren Jobmantel an die Wand, gibt nun lieber Workshops im English-Code (wie diesen Sommer in der der Piper Bonnier Akademie) und kann nun wieder in Sprache Werte vermitteln.
  • Lance Armstrong hingegen – dem einst wertvollsten Radler des Planeten –  stehen die moralischen nicht ganz so nah wie seine Blutwerte und nun das Epo bis zum Hals. Mit mehr Makeup auf den Armen als Frau Konnopke im Gesicht strampelte er – eine komplette Chemotherapie Aufbaumittelchen hinter sich herziehend – sieben Mal zum Sieg der Tour de France. Jan Ullrich steht schon tänzelnd vor dem Spiegel und probiert Goldmedaillen an – ist er es doch, der nun glatt drei Mal nachrutschen dürfte von der 2 auf die 1. In einer Hinsicht waren sich die beiden Herren immer einig: dass sie zu ihren femininen Seiten stehen. Während Armstrong sich die Einstichstellen mit Makeup aufhübschte, begab sich Ullrich zum Gynäkologen. Der hieß Fuentes und gab unserem Radlersternchen Eigenblut, denn auch Männer wollen mal bluten.

 © Matthew Runfola Citius, Altius, Fortius, fabricated and polychromed steel, 24in x 24in x 65in 2011

  • Weniger Glück mit dem Aufziehen femininer Seiten haben die Sportkollegen im Fußball und Boxen. Die Werte Achtung und Würde werden den Heroen genauso lange zugestanden, wie sich die Jungs wie Jungs benehmen. Ist ja logisch! Das sind doch alles echte Mannsbilder, die diesem Sport frönen, und zwar genau die, denen es auch gelingt (wie kürzlich in Berlin nach einem Hertha-Spiel), einen Behinderten zu dritt zu verkloppen! Naja, das ging zwar auch nur, weil sie den Jungen vorher ans Treppengeländer gefesselt haben, aber – hallo! Braucht so eine starke Spezies schwule Männer? Nix da, die versauen doch nur die Norm.
  • Warum bin ich jetzt thematisch bei der deutschen Nationalmannschaft gelandet? Ach ja, genau: Weil der Wert der Anerkennung einer Leistung natürlich nur so lange anhält wie die Leistung selbst. (Das neue Schwedentrauma der Deutschen, IKEA kann dicht machen, H&M muss Kurzarbeit einführen, Deutschland führt die Visapflicht für Schweden ein, außer für die Königin, denn sie ist ja Deutsche, und ein freundlich hingerocktes Hur mår du? wird fortan nur noch mit Schnauze! beantwortet.) Olli wird´s richten, schon das Motto seines Buches steht dafür: Man muss nicht schnell laufen, man kann auch richtig stehen, so heißt es in der Spielunterbrechung von Oliver Bierhoff, soeben erschienen bei ECON.


Ob es der US-Wahlkampf ist oder die Kanzlerkür hierzulande, ob es Ehrenwortgeber sind oder leidende First Ladys – sie alle zerren an den Werten herum, als seien es Schaufensterpuppen, die es je nach Gelegenheit zu dekorieren gilt. Da halte ich es doch lieber mit meinem Lieblingsphilosophen Michael Korth und seinem Oeuvre bei Allegria:Auf meine Frage, ob es seiner Meinung nach in unserer Gesellschaft überhaupt noch Werte gäbe, lieferte er mir ganze 186 davon, die er gerade in einem Buch zusammenfasst. So lange dieser Mann zu diesem Thema noch die Seiten vollkriegt, ist die Hoffnung nicht verloren.

In diesem Sinne verabschiede ich mich von meinen wertvollen Lesern bis zum nächsten Mal als

Ihr und Euer

 Spirit of Kasimir

2 Kommentare zu “Die werte Gesellschaft

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